Was ist ein Entwicklungstrauma?
Zunächst: Entwicklungstrauma und Bindungstrauma sind synonyme Begriffe, ich benutze hier den Begriff Entwicklungstrauma.
Entwicklungstrauma entsteht durch lang anhaltenden und wiederholten Stress mit Überwältigungserleben aufgrund von emotionaler Vernachlässigung, mangelnder Einfühlung und physischer wie psychischer Gewalt. Entwicklungstrauma führt zur Ausbildung unsicherer Bindungsmuster. Es geht zusammen mit Störungen in der Selbstregulation und einer geringen Toleranz gegenüber Stressoren. Dies bedeutet, dass Menschen mit Entwicklungstrauma ihre Gefühle nicht gut regulieren können und sich oft in Zuständen von Über- oder Untererregung befinden. Gleichzeitig enstehen als Anpassungsreaktion auf die versagende/unangenehme Umgebung spezifische innere Strukturen, welche die kindliche Identität und seine Wahrnehmungs- und Reaktionsweisen prägen.
Entwicklungstrauma entsteht durch ungünstige Bindungserfahrungen und ist heute epidemisch, also bei sehr vielen Menschen anzutreffen. Das führt leider dazu, dass chronische Dysregulation, ein eingeschränktes Verhaltensrepertoire und Gefühle der Unverbundenheit mit sich selbst und anderen als normal bewertet werden.
- Du fühlst dich oft einsam und unverbunden
- Dein Körper und deine Bedürfnisse sind für dich nicht gut zu spüren
- Oft stehst du unter Spannung oder du bist völlig erschöpft
- Du kennst deine Grenzen nicht und hast Probleme, dich abzugrenzen
- Du bist leicht von Gefühlen überschwemmt oder fühlst dich taub und leer
Dies sind einige der oft zunächst akzeptierten Symptome. Wenn sich dann daraus Angststörungen, Depression, psychosomatische Störungen, toxische Beziehungen oder Suchtverhalten entwickeln, bringen viele Menschen dies nicht mit den problematischen frühen Beziehungserfahrungen in Verbindung. Dies hängt auch damit zusammen, dass die ungünstigen Erfahrungen zu einer Zeit geschehen, an die wir uns nicht bewusst erinnern können.
Entwicklungstrauma: wenn alte Wunden dein Heute prägen
Wir haben keine bewusste Erinnerung an unsere ersten Lebensjahre, aber alle bedeutsame frühe Erfahrung ist im impliziten Gedächtnis gespeichert. Das zeigt sich in unseren gewohnheitsmäßigen Wahrnehmungs- und Haltungstendenzen. Dann nehmen wir die Welt auf vorgeprägte Art und Weise wahr und reagieren oft mit den damals erworbenen Überlebensstrukturen. Traumatische Erfahrung prägt sich durch die hohe emotionale und für das Kind existenzielle Bedeutung besonders tief ein. Daher werden traumatische Erinnerungsspuren und die daraus entwickelten Reaktionen sehr leicht getriggert und aktiviert. Die alten Erfahrungen überschreiben so allzu oft die aktuelle Situation und lassen uns unflexibel und unangemessen reagieren.
Körper- und bindungsorientierte Traumatherapie
In der körper- und bindungsorientierten Traumatherapie werden durch achtsames Körpererleben die implizit gespeicherten Muster erfahren und in ihrer wichtigen Schutz- und Überlebensfunktion gewürdigt. Durch Bewusstheit können wir allmählich die eingefahrenen Reaktionsmuster besser steuern und vor allem durch neue positive Beziehungserfahrungen ergänzen. Auch die Verbesserung der Selbstregulation basiert auf den zwischenmenschlichen Erfahrungen in der therapeutischen Beziehung. In einer guten Beziehung kann allmählich Vertrauen und Selbstvertrauen wachsen. Dann fühlst du dich mehr und mehr angenommen mit deinen eigenen Bedürfnissen und Grenzen, lernst im Kontakt auch bei dir selbst zu sein. So können zunehmend auch Herausforderungen und unangenehme Gefühle besser ausgehalten und wieder beruhigt werden.